Die Kirche Stella Maris auf Norderney Die Kirche Stella Maris von 1931 auf der Insel Norderney. Foto: Wikipedia/Open Source. Das Beste kommt zum Schluss. Bisweilen stimmt das. Kurz vor dem Ende des Bauhausjahres 2019 habe ich eine Kirche gesehen, die nach Bauhaus aussieht, obwohl ihr Architekt mit dieser Kunstschule nichts zu tun hatte. Stella Maris heißt das Gotteshaus auf der Nordseeinsel Norderney. Das schneeweiße Baugebilde, das aussieht, als sei es aus Kästen und Kisten locker gefügt, gilt als regionales Kuriosum. Dabei ist es eine Sensation. Architekt Dominikus Böhm hat die Kirche 1931 errichtet. Sie ist heute wieder in der originalen Gestalt zu sehen. Störende Ein- und Umbauten sind zuletzt beseitigt worden. Aber wie kommt ein solcher Solitär auf die Insel, mitten zwischen Backsteinhäuser und Logierhäuser? Stella Maris, die weiße Inselkirche, nimmt sich inmitten der ostfriesischen Häuser selbst wie eine Insel aus. Und wie in gebauter Protest gegen eine Umwelt, die so gar nichts mit purem Funktionalismus zu tun hat. Meer und Himmel, sie wirken an der Nordsee eher wie ungebändigte Land Art oder wie ein gewaltiges Aquarell, das sich sekündlich verändert, ungestüm und unvorhersehbar. Die Kirche dagegen wirkt wie der Distrikt einer reinen Geometrie, die durch keine Naturgewalt aus dem Gleichgewicht zu bringen ist. Blick in das Innere der Kirche Stella Maris mit den zwölf Apostelkerzen. Foto: Stefan Lüddemann. Der Bau wirkt mit seinen ungewöhnlichen Lösungen einfach erfrischend. Es gibt kein von außen erkennbares Kirchenschiff, keinen Glockenturm, kein Portal, nur ein riesiges hölzernes Kreuz, das ein wenig windschief zwischen den Baukörpern steht. Der Eingang findet sich in einem hoch aufragenden Kubus, der oben auch die Glocke trägt. Raffiniert ist das gemacht und zugleich mit einer Geste überlegenen Understatements. Es gibt eine Moderne, die ohne aufdringliche futuristische Geste auskommt – auf Norderney, ausgerechnet. Auch die anderen Teile des Baus wirken wie funktionale Einheiten ohne eine auf den ersten Blick erkennbare Funktion. Drinnen wendet sich der Eindruck. Der Bau besitzt das beeindruckende Fassungsvermögen von 700 Plätzen. Die Bänke sind auf den Altar ausgerichtet. Das Pultdach schränkt allerdings den Blick teilweise ein. Nicht alle Besucher können das große Altarbild von Richard Seewald sehen. Das hoch über den Altar ragende Gemälde zeigt eine Gottesmutter, die über die aufgewühlten Wasser der See wandelt und den Gottessohn wie das Licht der Welt vor sich herträgt. Dazu gibt es Inselleben als Wimmelbild, von Kutter bis Kirche, von Scholle bis Leuchtturm. Diese Melange wirkt wie naive Malerei mit der Wucht des religiösen Pathos. Das Altarbild von Richard Seewald. Das Bild hängt seit 1931 unverändert an dieser Stelle. Foto: Stefan Lüddemann. Apostelkerzen, Fenster aus Glasbausteinen, der unmerklich erhöhte Altarraum: Dieser Kirchenraum ist licht und weit und lebt doch allein von ganz lakonischen Setzungen. Stella Maris ist ein oft übersehenes Monument des architekturalen Purismus. Zugleich zeigt der Bau, wie sich Tourismus verändert hat. Bis 1978 besaß die Kirche keine Heizung. Sie war als reine Sommerkirche für Kinder in Erholungsheimen auf die warme Jahreszeit bezogen. Damals war Urlaub nicht saisonal nur viel begrenzter als heute, Erholung wurde auch mit geistlicher Erbauung kombiniert. Der Kirchenbau wandte sich mit seiner modernen Formensprache an ein auswärtiges Publikum. Die katholische Inselkirche für die einheimische Gemeinde kommt viel konservativer daher, als neogotischer Backsteinbau aus dem 19. Jahrhundert. Ich wende mich lieber in Richtung Goebenstraße, dorthin, wo Stella Maris steht. Der Bau ist eine Ausnahme, ein Beleg dafür, dass die Moderne überall hin ihren Weg gefunden hat. Das Erlebnis dieses schneeweißen Hauses reinigt die Seele, auch ohne religiöse Botschaft. Stella Maris sieht nach Bauhaus aus, hat mit Bauhaus aber nichts zu tun. Das macht nichts. Der Geist ist der gleiche. Es ist ein Geist der puren Eleganz. Aber passt nicht gerade sie auch wieder zu Brandung und Strandhafer? Das Naturlicht fällt durch Fenster aus Glasbausteinen in die Kirche. Foto: Stefan Lüddemann.
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GEDANKENÖl & Tinte: So heißt mein Blog. Und das ist die Kurzform für die beiden Medien, in denen sich Kultur für mich am schönsten verwirklicht – in der Kunst und in der Literatur. In meinem Blog schreibe ich über Ausstellungen und Lektüren, über Erlebnisse mit und Reflexionen über Kunst. Archiv
February 2020
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